Von der Bachelorarbeit über die Masterarbeit zur strukturierten Promotion
Nicht alles, was die Massenelitebildung an Innovation verspricht, ist wirklich neu – mit Ausnahme der Abschaffung der akademischen Freiheit.
„Dies ist der Jugend edelster Beruf: / Die Welt, sie war nicht, eh ich sie erschuf! / Die Sonne führt ich aus dem Meer herauf; / Mit mir begann der Mond des Wechsels Lauf. / Da schmückte sich der Tag auf meinen Wegen, / Die Erde grünte, blühte mir entgegen. / Auf meinen Wink, in jener ersten Nacht / Entfaltete sich aller Sterne Pracht. / Wer, außer mir, entband euch aller Schranken / Philisterhaft einklemmender Gedanken? / Ich aber, frei, wie mir’s im Geiste spricht, / Verfolge froh mein innerliches Licht / Und wandle rasch, im eigensten Entzücken, / Das Helle vor mir, Finsternis im Rücken.“
Der junge Mann, der im zweiten Teil von Goethes Faust in einem größenwahnsinnigen Schöpfungs- und Erneuerungsrausch diese Verse spricht, hat gerade den akademischen Grad eines Bakkalaureus erworben.
Die jungen Absolventen von heute sind nach ihrer Bachelorarbeit oder Masterarbeit fraglos pragmatischer, realistischer und bescheidener, was für die bildungspolitischen Architekten der Bologna-Reformen nicht unbedingt ebenso zutreffen muss. Man orientiert sich an angloamerikanischen Vorbildern, zumindest den Namen und Titeln nach (und wähnt, sich auch inhaltlich an ihnen zu orientieren).
Doch in der Geschichte gibt es wesentlich weniger Neuerungen, als es die Innovationsmanager uns und sich selbst glauben machen. Der Bakkalaureus als unterster akademischer Grad wurde schon an mittelalterlichen Universitäten verliehen. Und der dem heutigen Bachelor folgende nächsthöhere Rang, der Master, existierte bis vor wenigen Jahren an den Philosophischen Fakultäten als Magister und geht ebenfalls auf das mittelalterliche Universitätswesen zurück.
Durch ein verschultes Modulsystem werden Studierende zum nächsthöheren Abschluss geführt. Zynische Kritiker sprechen vom „Bulimielernen“.
Bachelor – Master – Promovend
Das „nach Bologna“ EU-weit geltende graduelle Bildungssystem führt Studierende vom Bachelor als erstem berufsqualifizierenden Abschluss über den Master bis zur über strukturierte Programme reglementierten Promotion: und zwar über ein inhaltlich und formal verschultes Modulsystem, das gleichwohl nicht, wie stets behauptet wird, europaweit zur problemlosen Anerkennung von Einzelleistungen, die an verschiedenen Hochschulen erbracht wurden, tauglich ist.
Für erfolgreich abgeschlossene Module gibt es Leistungspunkte, und für eine bestimmte Anzahl von Leistungspunkten irgendwann den Bachelor- oder Masterabschluss. Das erinnert, in sehr genauer Entsprechung zu unserer ausschließlich an Dienstleistung und Konsum orientierten gesellschaftlichen Mentalität, an das System der Rabatt- und Paybackkarten, das uns bei jedem Einkauf verfolgt.
Werden die Punkte gegen einen Konsumartikel eingetauscht, werden sie gelöscht. Besitzt dieses „Payback“-Studieren (man spricht auch von „Workload“-Konten) nicht eine genaue Analogie zu der von Studierenden kreierten – weniger appetitlichen – Metapher des „Bulimielernens“ für das Pauken (und Wiedervergessen) von Klausur zu Klausur?
Für den Umgang mit Kritikern der Bologna-Reformen, die die faktische Abschaffung der akademischen Freiheit beklagen und die Wahrung von Traditionen anmahnen, findet man das durchaus zeitgemäße Rezept auch schon in Worten des Goethe’schen Bakkalaureus:
„Gewiss, das Alter ist ein kaltes Fieber / Im Frost von grillenhafter Not. / Hat einer dreißig Jahr vorüber, / So ist er schon so gut wie tot. / Am besten wär’s, euch zeitig totzuschlagen.“
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