Promotion und Beruf als Doppelbelastung
Die biographischen und beruflichen Situationen, die hinter den zahlreichen erfolgreich abgeschlossenen, aber auch vielen abgebrochenen Promotionen an deutschen Hochschulen stehen, sind unterschiedlich.
Vor allem die häufige Doppelbelastung von Vollzeitberufstätigkeit und gleichzeitiger Arbeit an einer Dissertation stellt für viele Promovenden einen Ungewissheitsfaktor, häufig jedoch auch eine besondere Herausforderung und Chance dar.
Nicht erst die Wellen, die die Dissertations-Skandale von zu Guttenberg und Koch-Mehrin geschlagen haben, sind ein sprechendes Indiz für die Grenzen der individuellen Belastbarkeit bei vollem beruflichen Eingespanntsein und gleichzeitiger kaum weniger zeitaufwendiger wissenschaftlicher Forschungsarbeit.
Hohe Abbruchquote unter den Doktoranden
Weniger spektakulär, aber nicht minder aussagekräftig ist, dass etwa ein Drittel aller Doktoranden die Arbeit an der Dissertation abbricht. So lautet die Schätzung des Hannoveraner Hochschul-Informationssystems (HIS) – eine bloße Schätzung, da in Deutschland das Nichtvorhandensein einer offiziellen Doktoranden-Statistik keine genaue Angabe verlässlicher Zahlen erlaubt.
Als Hauptgrund für die hohe Abbruchquote gibt Kolja Briedis vom HIS die zu hohe Arbeitsbelastung durch die parallel laufenden Anforderungen von Berufstätigkeit und wissenschaftlicher Arbeit an. Dies betreffe auch an der Universität angestellte Promovenden.
Letztere Gruppe, die sich in der komfortabel anmutenden Situation befindet, nicht zwischen zwei Welten pendeln zu müssen, für die also Beruf und Forschungstätigkeit unter dem Dach der Wissenschaft vereint sind, macht laut dem Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (IFQ) in Bonn lediglich 16 Prozent der Doktoranden aus.
Die höhere Zahl der Promotions-Abbrecher findet sich jedoch unter den sogenannten ‚Externen‘. Hierfür, so gibt Norman Weiss vom Doktoranden-Netzwerk Thesis zu bedenken, sei nicht allein die Doppelbelastung von Beruf und Wissenschaft, sondern auch das fehlende Eingebundensein der externen Doktoranden in Betreuungs-, Informations- und Feedback-Strukturen verantwortlich, sodass die Betreffenden zu sehr ein Dasein als wissenschaftliche ‚Einzelkämpfer‘ führten.
Starke Bedeutung der Promotion für die Karriereleiter
Unstrittig ist indessen neben dem ideellen auch der materielle Wert eines Doktortitels. In vielen Branchen und den entsprechenden akademischen Disziplinen, vor allem den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, erhöht der Doktortitel die Karrierechancen enorm. Vor diesem Hintergrund sind Karrieregestaltungsmodelle, die die Gleichzeitigkeit oder zeitlich strukturierte Kombination von Beruf und wissenschaftlicher Forschungsarbeit ermöglichen, von besonderem Interesse.
Viele Unternehmen, besonders solche mit eigenen Forschungsabteilungen, bieten ihren Mitarbeitern hierfür angemessene Organisationsmöglichkeiten: von eigenen Doktorandenprogrammen über Teilzeitstellen bei voller Bezahlung für die Dauer der Promotion bis hin zu eigenen Stiftungsprofessuren zur Verbesserung der Betreuung.
So wollte Marcel Naujoks nach Abschluss seines Studiums der Betriebswirtschaftslehre in Tübingen das eine tun, ohne das andere zu lassen: ins Berufsleben eintreten und promovieren. Er nahm eine Tätigkeit bei der Unternehmensberatung Roland Berger auf, die ihm beides erlaubte: Er wurde von seinem Arbeitgeber für drei Semester freigestellt, damit er an der TU München eine Dissertation über ein Thema verfassen konnte, das sich aus seiner konkreten Tätigkeit bei Roland Berger ergeben hatte.
Etwas schwierig gestaltete es sich laut Naujoks, einen Doktorvater für die Dissertation zu finden, da manche Lehrstuhlinhaber sowohl hinsichtlich der Forschungsthemen als auch in Bezug auf externe Doktoranden nicht unbedingt flexibel und entgegenkommend seien.
Naujoks hat aber schließlich doch einen Betreuer gefunden. Der Zeitraum von 18 Monaten, der ihm zur Fertigstellung der Dissertation zur Verfügung steht, sei zwar knapp bemessen, zwinge ihn jedoch im positiven Sinne zur Selbstdisziplin.
Darüber hinaus schätzt der Promovend das universitäre Eingebundensein in ein Doktoranden-Netzwerk sowie die beide Erfahrungsräume bereichernde Koppelung der beiden Sphären von Beruf und Universität.
Ganz so problemlos ist die Doppelbelastung von Beruf und Wissenschaft nicht immer – vor allem wenn der Lebensfaktor Familie eine dritte, wohl keinesfalls minder wichtige Rolle für sich beansprucht.
So arbeitete Christoph Moll, Ingenieur für Luft- und Raumfahrtechnik, bereits seit mehreren Jahren für Rolls-Royce Deutschland in einer führenden Position auf Personalebene, als er auf Anraten seines Arbeitgebers eine ingenieurswissenschaftliche Dissertation in Angriff nahm.
Der zu diesem Zeitpunkt 33-Jährige behielt seine Vollzeitstelle bei, schloss seine Promotion nach vier Jahren ab und war innerhalb dieses Zeitraums zwei Mal Vater geworden.
Rückblickend beschreibt Moll die Dreifachbelastung von Promotion, Beruf und Familie als eine Rund-um-die-Uhr-Leistungsanforderung, als harten, aber zu bewältigenden Mehrschichtendienst.
(Nach: FAZ vom 11. September 2011; Sarah Sommer)
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